Als der Ball kein Ende nehmen wollte. Edward Quinn und die glamourösen Jahre an der Côte d’Azur.

René Ammann

Vielleicht wird er jetzt selber berühmt, der irischstämmige Fotograf Edward Quinn, der berühmte Leute noch berühmter gemacht hat.

Seine Ausstellung wird demnächst (Sommer 1998) eröffnet und das Buch zur Schau publiziert. Doch Quinn sorgt sich um den Film, den er drehen will über jenes Thema, das der Ausstellung und dem Buch zugrunde liegt: die sogenannten goldenen Jahre an der französischen Riviera. Das waren die 50er Jahre, als der reiche Onassis mit der Callas und der bankrotte Rainier von Monaco mit der Kelly, der Cocteau mit Jean Marais, die Bardot mit Trintignant, Jayne Mansfield mit ihrem zweiten Ehemann. Als der Ball kein Ende nehmen wollte und Mr. Quinn mit seiner Kamera dabei war.

Die Bussi-Bussis, die vom Kioskständer herablächeln.

Fotografen von Prominenten sind eine spezielle Gattung. Im Bestreben, der Flut der Zeit Erinnerungen zu entreissen, konzentrieren sie sich auf die Cocktailgesellschaft, die Bussi-Bussis, die vom Kioskständer herablächeln. Sie stellen sicher, dass wir, die Mausmänner und Mausfrauen aller Nationen, ausreichend versorgt sind mit den Freuden und Nöten von Menschen, von denen wir annehmen, dass sie etwas Spezielles leisten (oder geleistet haben) und daher auch etwas Spezielles seien.

Promi-Fotografen verhelfen zu Starruhm oder vergrössern die Aura bestehender Stars und schützen deren Unberührbarkeit. Wenn ein Mitglied dieser Clique einen Polizisten ohrfeigt, Steuern hinterzieht oder den Kokainkollaps erleidet, sind sie in aller Regel nicht zugegen. Ihr Metier ist die Makellosigkeit.

Die Macht der Bilder setzt Menschen jahrzehntelang zu. 

Stellen Sie sich Marilyn Monroe vor, wie die Luftschleuse eines Warenhauses ihren Faltenrock hebt und sie lächelnd den Stoff niederdrückt. Oder dieses Bild: Stellen Sie sich James Dean vor, wie er durch die Strassen von New York City pilgert, den Mantelkragen hochgeschlagen.

Oder den ehemaligen Präsidenten der USA, Jimmy Carter, wie er abgeschlafft und einem Kollaps nahe vom Joggen zurückkehrt. Solche Ikonen entstehen irgendwann, werden wieder und wieder abgebildet, sie füttern unseren Voyeurismus, sie besetzen unsere Erinnerung.

Edward Quinn hat keine solchen raren Ikonen geschaffen, vielleicht deshalb, weil er kein Amerikaner ist, sondern ein Ire, der vorwiegend mit Londoner Fotoagenturen, französischen Magazinen und deutschen Regenbogenblättern zusammenarbeitete und wenig Gewicht auf sein eigenes Ego legte.

Gret Quinn führte das Archiv.

Die Bildverarbeitung, Administration und Archivführung überliess er seiner Frau Gret Quinn. «Ich fühle mich immer noch als Fotograf, ich möchte meine Zeit mit Fotografieren verbringen, nicht mit der Vermarktung meiner Fotografien oder meiner Person. Ich bin noch ein weites Stück von meiner Pensionierung entfernt und weit davon entfernt zu denken, ich hätte alles hinter mir. Ich bin niemals glücklicher, als wenn ich neue Fotos gemacht habe, solche, die ich noch nie gemacht habe.»

Ein Fotograf an der Küste der Laster und Leidenschaften.

Edward Quinn war als Fotograf zur richtigen Zeit am richtigen Ort: In den 50er Jahren an der Riviera, jenem Streifen wilder Schönheit und idyllischer Ruhe, die Hundertschaften von Prominenten zum Verweilen anzog, jener Küste der Leidenschaften und Laster, die Dutzende von Leuten um Ehre und Vermögen brachte.

Als junger Mann war Quinn Musikant gewesen, geboren in Dublin irgendwann, das Jahr will er ausdrücklich nicht sagen, obwohl ich ihn gar nicht danach gefragt hatte. Marotte ist Marotte, was soll’s. Quinn sagt, das tue nichts zur Sache, es halte ihn höchstens davon ab, weitere Aufträge zu akquirieren. (Anmerkung: Quinn war 1920 geboren worden, wir trafen und 1994; ram.)

Wo die Girls doch so pretty!

Sagt’s mit unbeweglicher Oberlippe, und seine unglaublich langen Hände malen einen Halbkreis in die Luft. Er erzählt, er habe die erste Hawaii-Gitarre Irlands in Händen gehalten, dieses Schrecken verbreitende Instrument, das jede Melodie verschmiert. Und wenn ihn danach gelüstet, und das war nach unserem Gespräch der Fall, singt Quinn munter von Paradise City, wo die Girls doch so pretty.

Bis zu den pretty Girls war es von Dublin nach Cannes eine lange Strecke, es flog kein Aer-Lingus-Jet direkt an die Riviera. Ein Freund sagte Quinn, er solle doch auch Navigator werden wie er, und da die irische Wirtschaft vor Energie nie überschäumte wie ein Guinness, da sagte sich Quinn: Warum nicht?

Quinn behielt die Übersicht. Alles war frei und intim.

Er wurde Navigator und flog Chartergäste von Dublin nach Rom oder von Rom nach Tanger oder Bordeaux oder umgekehrt. Das Flugzeug war munzig, ein Sechs- oder Achtplätzer, eine Convair, glaubt er, jedenfalls behielt Quinn noch die Übersicht, wenn er hoch im Himmel zu Boden blickte. Und wenn er neben dem Studium der Navigationskarten Zeit fand, ein paar Bilder zu schiessen, dann tat er das.

Die Bilder zeigte er Freunden, und die fanden sie gar nicht übel. Dann fand Quinn eine Frau, eine Schweizerin, Gret Sulser. Das Paar liess sich 1949 an der Riviera nieder. Es gab nach dem Krieg kaum Tourismus, erzählt er. Die Leute kamen im Winter nach Südfrankreich, um vor der Kälte zu fliehen. Die Häuser waren so billig, dass sich auch Autoren und Maler eins leisten konnten. Monte Carlo. Cannes, Nizza, alles war zum Vergnügen da, «alles war frei und ungezwungen, alles war privat und intim».

Dann kam das Fernsehen, und alle wussten über alles Bescheid. Angeblich. Und dann kam Fürst Rainier.

Die Rennfahrer setzten keine Helme auf, wenn sie das Monte-Carlo-Rallye fuhren. Das Fernsehen existierte nicht. Fernsehen hat die Welt derart in Beschlag genommen, dass alle alles wissen oder zu wissen glauben. Die damalige Riviera aber, das muss man sich so vorstellen: «Das war eine in sich geschlossene Welt.»

Nach aussen drang anfangs wenig, dann immer mehr. Die erste Serie von Fotos, die der Prominentenfotograf Quinn verkaufen konnte, zeigt Rainier III. Grimaldi. Herrscher über Monaco. Jene Festung, die seine Vorfahren dank etlicher Morde erobern und behalten konnten.

Der Fürst schnitzt im Bastelzimmer Kruzifixe.

Rainier III. schnitzt auf Quinns Bildern Kruzifixe im Bastelkeller. Lenkt sein Boot, sitzt im Palast oder spaziert friedlich im Garten. Die Londoner Fotoagentur Black Star kaufte das Set und verbreitete es über die britischen Printmedien. Das war 1954. "Kein Public-Relations-Agent zog Nutzen aus der lukrativen Verbindung von Presse und Prominenz. Kein Leibwächter schlug zu, wenn das Objekt der Begierde plötzlich nicht mehr belästigt werden wollte. Der Ball der siegreichen Nachkriegsgesellschaft blieb ungestört.

Quinn war «besonders interessiert an schönen Frauen und gutaussehenden Mädchen, denn das wollten die Magazine und Zeitungen in jenen Jahren abdrucken». Zwar faszinierten ihn Künstler stärker, etwa Picasso, über den er einen Fotoband publizierte und zwei Filme drehte.

Die Miete wurde mit Fotos schöner Frauen bezahlt.

Zwar ging er zurück nach Dublin, nachdem er James Joyce' Werk «Ulysses» gelesen hatte, suchte die Strassen, die Pubs und die Ufer auf, die sowohl Joyce wie Quinn kannten, und liess aus den Fotos ein Buch drucken. Zwar schrieb er sich in eine Sommerakademie in Südfrankreich ein, um Malerei und Bildhauerei zu erlernen. Das Wissen half ihm beim Verfassen des Textes zu seinen eigenen Fotos über den deutschen Künstler Georg Baselitz, erschienen als Buch im Benteli-Verlag.

Aber die Miete, das tägliche Brot, das haben ihm die Bilder schöner Frauen und gutaussehender Mädchen eingebracht.

Quinn entdeckte Brigitte Bardot und Audrey Hepburn.

Quinn entdeckte die schöne Brigitte Bardot und die schöne Audrey Hepburn. Er fotografierte die schöne Grace Kelly und die schöne Sophia Loren. Und er fotografierte den alten Churchill. Ausnahmsweise mit Zigarette, nicht mit Zigarre. Er knipste den alten de Gaulle mit einem Cordon von Polizisten und den alten Aga Khan mit einer schönen Frau, deren Name heute niemand mehr kennt.

Es war üblich, das Einverständnis der Leute einzuholen. «Wenn sie nicht fotografiert werden wollten, habe ich es nicht getan und die Leute an einem anderen Tag nochmals gefragt. Ich war immer mit den Leuten zusammen. Offenbar schien ich ihnen keinen Schaden zuzufügen, das schaffte Vertrauen.»

Geschah etwas für die Prominenten Unschönes, übte Quinn Selbstzensur: «Ich versuchte, soweit wie nur möglich jene Fotos auszusuchen, die für sie in Ordnung waren – und immer noch in Ordnung für mich. Ich habe viele Fotos nicht publiziert, obwohl die Presse sie sicher gerne gedruckt hätte. Aber der Glamour war mir wichtiger. Zudem hatte ich Respekt vor der Würde der Menschen, schliesslich bin ich Katholik.»

Nur selten musste Quinn den Weg des Gerechten verlassen.

Die schwierige Greta Garbo.

Greta Garbo hatte er «mindestens zehnmal um einen Fototermin gebeten». Garbo sagte jedesmal nein. Da sah Quinn keine Alternative als ein Paparazzo-Bild, ein verstohlen abgedrücktes. Er fotografierte die Schauspielerin von einem Boot aus, beim Schwimmen. Kein göttliches Bild. Kein Glamour. Aber auch dort, schränkt er ein, habe er nicht jene Bilder geschossen, die «allzu unvorteilhaft waren». Garbo war «ein Spezialfall», sagt Quinn.

Paparazzi-Methoden würde er weiterhin anwenden, aber nur, wenn der Anlass ein grosser, nicht wiederholbarer wäre. «Aber meistens wäre ich sowieso früher dort, ich würde allein arbeiten wie früher, meine eigenen Termine verabreden, Vertrauen aufbauen, Kontinuität schaffen.»

Was den Paparazzo ausmacht.

Hätte der Katholik Quinn das Foto von Claudia Schiffer, das unerklärlicherweise weltweit für Aufruhr sorgte, an die Presse geschickt? «Ich hätte es nicht herausgegeben, wenn sie nichts davon gewusst hätte. Ich weiss nicht, ob sie zugestimmt hat. Wie hat das Foto ausgesehen?»

«Es war ein Paparazzo-Bild, ihr Busen war entblösst.»

«Wurde das Bild beim Baden aufgenommen?»

«Ja, vermutlich.»

«Das ist das Risiko, das die Leute heute auf sich nehmen. Prominente sollten sehr vorsichtig sein, sie müssen wissen, dass jederzeit Fotografen in der Nähe sind, besonders dann, wenn jemand während Wochen auf dem Titel von Paris Match war.»

Der Blick für die glitzernden Momente des Lebens.

Früher arrangierten sich Fotograf und Modell normalerweise, denn beide waren an einem Fortbestand der Beziehung interessiert. Quinns zurückhaltende, höfliche Art wird ihm dabei sicherlich geholfen haben. Und ausserdem sein Blick für die glitzernden Momente des Lebens.

Er brauchte für seine Fotos sehr selten Studiolicht. Die meisten Bilder hat er schnell schiessen müssen, er sah eine Komposition, sah die Leute, das Licht, sah, dass etwas passierte und drückte ab. «Es geschah in der Art des "speziellen Moments" von Cartier-Bresson», sagt Quinn, «er hatte diesen Blick ebenfalls. Aber er hat sich aus dem Bild herausgehalten. Er fotografierte vor allem heimlich, die Leute wussten gar nicht, dass er da war. Ich musste versuchen, den Leuten das Gefühl zu geben, es sei keiner da und es würden von ihnen auch keine Aufnahmen gemacht.»

Der Fürst von Monaco war verantwortlich für die Wende. Und für das Ende.

Die pretty Girls blieben, doch Paradise City ging unter. Ausgerechnet Quinns erstes Starmodell, Rainier III. von Monaco, war verantwortlich für die Wende. Quinn hatte bereits Fotos von Grace Kelly während der Dreharbeiten des Filmes «To Catch a Thief» von Alfred Hitchcock publiziert, als er von «Paris Match» den Auftrag erhielt, Grace und Rainier gemeinsam abzubilden.

Quinn fotografierte den Handschlag, das erste Treffen der zwei Prominenten. Als sich die beiden verlobten und der Hochzeitstermin verkündet wurde, preschten die mächtigen internationalen Fotoagenturen vor, um die «Story» einzukaufen. «Es war der erste Fall, bei dem für eine Exklusivität Geld bezahlt wurde, um Fotos von Prominenten schiessen zu können», sagt Quinn.

Ein Fotografenpool wurde geschaffen, alle kamen an die Kasse. Das Geld sei ans Monegassische Rote Kreuz geflossen. «Prinz Rainier fand das gut, denn er missbilligte die Idee, dass Hunderte von Fotografen durch den Anlass trampeln könnten. Seit dieser Hochzeit brauchten die Fotografen eine Erlaubnis, sie mussten erstmals für Aufnahmen zahlen, die Hochzeit war der Wendepunkt.»

Die Kontrolle über Bilder und das "Image" setzt ein.

Ein cleverer Schachzug. Die Very Important People, die VIP’s, hatten, dank ihres Vetos bei der Wahl des Fotografen, nicht nur Hand auf das richtige Bild gelegt. Sie hatten sich, zumindest in diesem Fall, dafür auch noch zu Wohltätern hochschwingen können.

Für die weniger Important People hatte Quinn ein anderes Rezept. Er setzt sich in eine Hotelhalle, studierte die lokalen Blätter und wenn er Leute sah, die er nicht kannte, fragte er den Concièrge. «Ich wusste, wenn jemand etwas Spezielles war», sagt er.

Audrey Hepburn war eine unbekannte Schauspielerin, die eine kleine Rolle in einem Film spielen durfte. Quinn fuhr Hepburn in die Dörfer, setzte sie in einem Garten auf einen kindergrossen Steinfrosch, legte ihr einen Schleier um, hielt Hepburns delikate Seele in Schwarzweiss fest. Hepburn schickte die Fotos an ihre Agentur in New York und erhielt deswegen die Rolle im Film «Roman Holiday» und ausserdem die Rolle der Gigi in Colettes Musical «Gigi». Auch darum, weil Colette zur selben Zeit wie Hepburn in Monte Carlo weilte.

Die meisten Fotos, die Quinn schoss, blieben unveröffentlicht. Die Agenturen und Magazine kauften und druckten einen kleinen Teil davon ab, bezahlten, und damit hatte es sich. Martin Heller, dem Leitenden Konservator des Museums für Gestaltung, Zürich, ist es zu verdanken, dass Quinn, der abwechslungsweise in der Nähe von Altendorf/Schwyz und in Nizza lebt, eine grosse Ausstellung und ein Buch gewidmet sind.

Frau Quinns Neffe – der Künstler Mike Frei R. – und der Künstler Francisco Carrascosa hatten in Hellers Museum die Fotoausstellung «Blind» organisiert. Im Laufe der Recherchen waren sie auf Quinns Archiv gestossen, auf Tausende von Negativen. Heller sah sämtliche durch. Liess Abzüge erstellen und wählte für Ausstellung und Buch etwa 200 Fotos aus.

Martin Hellers Blick auf die 1950er-Jahre.

Es ist ein Blick von heute, der sich manifestiert. Ein Blick des 42jährigen Kurators Heller. Ihm gefällt an den Quinn-Fotos die «seltsame Modernität» der Aufnahmen. Heller zeigt sämtliche Fotos ungeschnitten. Kein siebenschlauer Layouter durfte das Japanmesser ansetzen, die Bildästhetik blieb intakt.

Auch Quinn gibt sich befriedigt. «Ich musste Hellers Auswahl akzeptieren. Aber ich hoffe weiterhin auf eine grosse Retrospektive, für die ich die Bilder selber auswählen kann. In diesem speziellen Fall, denke ich, hat Heller eine ziemlich gute Auswahl getroffen.»

Hat Quinn Leute wie Alain Delon, Charlie Chaplin oder Kim Novak gemocht?

Im Laufe seines (etwa) 75jährigen Lebens hat Edward Quinn Dutzende von Prominenten getroffen, hat einen Teil seiner Zeit mit Cary Grant, Françoise Sagan, Alain Delon, Charlie Chaplin, Kim Novak verbracht. Hat er die berühmten Leute, mit denen er zusammen war, gemocht?

Auf die Frage folgt eine lange Pause. Dann sagt Quinn: «Sagen wir es so. Zwar mochte ich sie, alle auf einer anderen Ebene. Aber ich behielt in jedem Fall meine Distanz, ich habe mich nie mit ihnen eingelassen, ich dachte, es würde mich in meiner Arbeit behindern, wenn wir uns zu nahe kämen. So habe ich die Distanz gesucht, sowohl aus Respekt wie auch aufgrund der Absicht, dass ich Fotos mit dem Teleobjektiv schiessen konnte, wenn ich musste.»

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Die Titelgeschichte des Magazins von Tages-Anzeiger und Berner Zeitung über Edward Quinn erschien in Nr. 16 vom 24. April 1994. Falls sich Tippfehler finden: Pardon. Ich werde sie nach und nach ausmerzen. Meine Texte aus jenen Jahren gibt es nicht in digitaler Form. Der Text über Quinn erscheint hier erstmals am 24. Februar 2023.